Lichtkunst


LICHTKUNST

______________________________________________________________________________________________________________

20100314

2. Wir heben ab!
Über den Schwebezustand einer Gesellschaft

Entwurf für das Vorarlberger Landesmuseum während der Umbauphase. Abheben steht für Erfolg und Expansion. Das Abheben erzeugt in der Kunst Schwebezustände.


Schwebezustände in der Kunst der Gegenwart 

Nicht nur die Preise der "Neuen deutschen Kunst" schweben in ungeahnte Höhen, sondern auch ihre Motive und Malweisen vermitteln ein Abheben. Es entstehen "traumartige Landschaften, labyrinthische Räume, verlassene Interieurs, quasi-surreale Kombinationen". Die Umwelt ist bei manchen Malern ein "ortloser Innen- oder Außenraum, oft eine … an künstliche Simulationen erinnernde Welt". Es sind teilweise "figurativ collagierenden Rätselmaler" und ihre "Bilder betreiben eine dezidierte Enthaltung von gesellschaftlichen Fragestellungen" (1). In einigen Bildern schweben Figuren, der Betrachter beginnt zu schweben oder auf andere Weise scheint die Schwerkraft aufgehoben zu sein.


Labyrinthische Räume, Schwebezustände im Wasser und das auf den Kopfstellen von Räumen spielt bereits eine wesentliche Rolle im Tanzfilm "Das kleine Museum Velazquez" von Bernar Hébert aus dem Jahre 1994.

Mariko Mori stilisiert sich als Außerirdische und lässt Ausstellungsbesucher mit Ihrem Wave-UFO der Erdenschwere entschweben. Ihr esoterisch-technischer Mix wird unterstrichen durch die Behauptung, dass Gehirnströme der Besucher an die Decke des Innenraumes projiziert werden sollen, was sich dann zum Running Gag entwickelte.

Im Film "Matrix" lassen Andy und Larry Wachowski die letzten freien Menschen mit dem Hovercraft Nebuchadnezzar der verwüsteten Erde entschweben.

Almodovar spannt seinen Reigen "Hable con ella" zwischen einen Prolog und Epilog. Beide zeigen ein Ballett anfangs auf einer erhöhten Bühne und am Schluss scheint eine Frau zu schweben.

Die Fotografin Rosemary Laing und die Videokünstlerin Eija-Liisa Ahtila lassen Frauen durch die Luftschweben.

Interessanterweise – und davon wird später noch die Rede sein – erleben Inszenierungen von Barockopern eine Hochblüte. Denn
"spätestens mit der ersten Arie erlebt man einen jähen Katapultschwung nach oben. Man wird hinaufgeschossen in eine erdenferne Welt und ist auf einmal umgeben von einer anderen Materie. Im Barockopern-Kosmos atmen die Sänger Edelgas, so silberhell und leuchtend klingen ihre Stimmen. Der Koloraturen-Höhenrausch ist für sie der Normalzustand. … Es dauert einen Moment, bis man sich an diese Künstlichkeit gewöhnt hat. Dann erst nimmt man wahr, wie viel Empfindsamkeit dem Artifiziellen innewohnt und wie lebensprall das vermeintlich Ätherische sein kann." (2)
Die Ausstellung "Himmelschwer" in Graz hat sich 2003 ausführlich den Themenbereichen wie z. B. Levitation, Schwebe und Aufstieg in der Kunst der Gegenwart und Vergangenheit gewidmet. Aber nicht allein die Tatsache, dass schwebende Gegenstände zu sehen sind, bedeutet, dass das Schweben ein Wesensmerkmal der Gegenwartskunst sein kann. Andere Möglichkeiten sind eine poppige, leichte Malweise, das Artifizielle oder das Labyrinthische, welches das rationale Denken in Frage stellt. Vor allem aber ist es die Selbstreflexivität, die die Kunst zum Abkoppeln führt.

Entscheidend für den Charakter des Schwebens sind vor allem das Vorhandensein von Selbstreflexivität, Ironie und Doppelcodierung. 
Die Selbstreflexivität verhindert, dass keine oder kaum eine Bezugnahme zu irgendeiner Realität vorhanden ist. Die Ironie ist eine distanzierte Haltung, die keine Partei ergreift. Es ist die Haltung eines Menschen, der über den Dingen zu stehen scheint. Sie macht ihn unangreifbar und überlegen. Die Doppelcodierung ist eine Ambivalenz, "durch die ein semantischer Schwebezustand entsteht: Eine Äußerung oder Darstellung ist so angelegt, dass sie auf (mindestens) zwei verschiedene Weisen verstanden werden kann." (3)


[1] Kube Ventura, Holger : Lost in Ölschinken, http://www.freitag.de/2007/12/07121101.php, 2007
[2] Spahn, Claus: Lauter Wahnsinnige auf Edelgas, Die Zeit, 10. 6. 2009, Nr. 25

[3] Eder, Jens: Oberflächenrausch, Postmoderne und Postklassik im Kino der 90er Jahre, 2. Auflage 2008, S 17

Keine Kommentare: