Lichtkunst


LICHTKUNST

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20100730

4. Wir heben ab!
Über den Schwebezustand einer Gesellschaft



Entwurf für das Vorarlberger Landesmuseum während der Umbauphase. Schwebezustände sind in der Kunst unter gewissen Voraussetzungen immer wieder zu beobachten.


Barock und Höhendrang

Für barocke Phasen gilt:

Leere wird durch Theatralität überspielt, Realität wird durch Künstlichkeit ersetzt und Schwere durch Leichtigkeit eingetauscht.

Nicht zufällig fand 2001 in der Kunsthalle Wien die Ausstellung „Eine barocke Party“ statt. Im Katalog wird darauf hingewiesen, dass sich Künstler wie Jeff Koons, Derek Jarmen, Frank Stella, Modemacher wie Vivienne Westwood u. a. direkt auf den  Barock berufen.(1) Im Barock nehmen Höhendrang  und Dynamik zu. Dreiecksgiebel und Segmentgiebel werden durch einen Druck von unten „gesprengt“. Andrea Pozzos Figuren schweben dem Himmel entgegen. Die manieristische Prunksucht (2) entfaltet sich zunehmend. „Der Barock ist eine zerrissene, antithetische, vom Mangel an Geborgenheit zeugende Epoche.“(3)  Zwischen carpe diem und memento mori  entfaltet sich eine Kultur der Gegensätze. Im Welttheater vereinen sich Weltlust und –flucht. Der barocke Mensch erlebt innere Wiedersprüche, Schein und Sein. Theatralität, Körperlichkeit und Vanitas sind sowohl im Barock als auch in der Gegenwart immer gleichzeitig vorhanden. Orlan zeigt sich als barocke Madonna mit entblößter Brust und die Sängerin Madonna tritt in ihrer Performance „Vogue“ als Marie Antoinette auf. Letztere wiederum wird interessanterweise in Sofia Coppolas Filmbiografie als Pop-Königin dargestellt. Neben der Darstellung von Sinnlichkeit gehört gleichzeitig der Totenschädel zum Repertoire der zeitgenössischen Kunst: Jan Fabre, Particia Piccinini, Subodh Gupta, Adrian Schoorman, Jahn Isaacs, Douglas Gordon, David Lachapelle und natürlich Damien Hirst verwenden ihn. Letzterer wird auch noch von David Pountney in seiner „Agrippina“-Inszenierung in Zürich zitiert.

Im Vanitas-Gedanken [kam das] jubelnd Barocke auf den Boden der Realität zurück, um gleich wieder abzuheben in die Gefilde der absoluten Künstlichkeit “.(4) 

Lust auf Sinnlichkeit und Lust am Grauen existieren gleichzeitig.


Wir bevorzugen das Künstliche als eine gereinigte Wirklichkeit, eine Wirklichkteit ohne Schwere und ohne Schmerz. Es ist unsere telematische Gesellschaft, die unser Abheben beschleunigt. Sie erzeugt eine Euphorie mit religiösen Zügen. Wir befreien uns von unseren Verwurzelungen und können engelsgleich permanent den Standort wechseln. Wir sind allgegenwärtig und schweben über alle Barrieren.

Möglichkeiten der „Grenzverwischung von Außen- und Innenraum“ wie sie bei Fischer von Erlachs Barockarchitektur zu beobachten sind,(5) kommen in gewisser Weise auch in der Gegenwart vor. Die Videokünstlerin Eija-Liisa Ahtila lässt nicht nur Figuren schweben, sondern verwischt Innen und Außen, indem jede Logik zusammenbricht. In „The House“ (2002) werden ferne Stimmen, Zeiten und Orte gegenwärtig. Ahtila beschäftigt sich mit Schizophrenie-Patienten. „… schizophrenen Ausdrucksformen und bestimmten Erscheinungen der modernen Kultur“,  wie das Collagieren, Auflösen des Narrativen und das „verwirrende Spiel mit … Perspektiven“(6) nehmen heute zu.


[1] Folie, Sabinwe/Glasmeier, Michael: Eine barocke Party, Wien 2001, S 26
[2] Lexikon der Kunst, Leipzig 1968
[3] http://www.literaturknoten.de/geschichte/spezif/literaturg/epochen/1600_barock.html
[4] Folie, Glasmeier, a.a.O., S 24
[5] Folie, Glasmeier, a.a.O., S 16
[6] Kuhlmann, Andreas, zitiert in: Klaus Leferink: Schizophrenie als Modell des Postsubjekts, http://web.fu-berlin.de/postmoderne-psych/berichte2/leferink.htm

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